Safe and Sound Protocol (SSP)

Das Safe and Sound Protocol (SSP)

Musik als Medizin

Das „Safe and Sound Protocol (SSP)“ ist eine von dem US-amerikanischen Neurowissenschaftler Stephen W. Porges entwickelte, musikgestützte Therapieform.  Leider wird sie bisher in Deutschland nur von sehr wenigen Therapeuten angeboten. Vierzig Jahre Forschung stecken darin. Das SSP basiert auf der von Porges begründeten Polyvagal-Theorie.

Ursprünglich wurde das SSP zur unterstützenden Behandlung von Menschen entwickelt, die an einer Autismus-Spektrum-Störung erkrankt sind. Die Praxis zeigt aber, dass das Anwendungsfeld viel breiter ist. Die Forschung hierüber steht gerade erst am Anfang aber es zeigen sich bereits weitere Behandlungsmöglichkeiten, etwa bei Angsterkrankungen, Problemen mit der Affektregulation oder Traumafolgestörungen.

Entwicklungstraumata

Viele Fachleute aus dem Feld der Psychotherapie gehen mitlerweile davon aus, dass sog. Entwicklungstraumata die Ursache für sehr viele psychische – aber auch körperliche – Probleme sind. Als Entwicklungstrauma bezeichnet man überwältigende Erlebnisse in der frühen Kindheit oder sogar vorgeburtlich.

Wie man heute weiß, nehmen Kinder bereits ab den ersten Schwangerschaftswochen Informationen aus ihrer Umgebung auf. So kann massiver Stress der Mutter bereits zu ersten Erschwernissen in der Entwicklung des werdenden Lebens führen. Aber auch die Umstände der Geburt, etwa durch Kaiserschnitt oder medizinisch notwendige Eingriffe nach der Geburt, können durch die Trennung von der Bezugsperson zu erheblichen Traumatisierungen führen.

Traumata als Ursache für viele psychische Probleme

Dazu muss man wissen, dass die Trennung von der Bezugsperson vom Säugling subjektiv als akute Lebensbedrohung wahrgenommen wird. Säuglinge und Kleinkinder sind noch nicht in der Lage, ihr Nervensystem selbstständig zu regulieren. Diese Fähigkeit müssen Kinder in den ersten Lebensmonaten und -jahren durch Nachahmung der Bezugspersonen erlernen. Kommt es in dieser Zeit zu einer längeren Trennung von der Mutter, kann dies Störungen in der Entwicklung bewirken. Auch emotionale Vernachlässigung und nicht zuletzt natürlich auch körperliche oder seelische Gewalt führen zu massiven Traumatisierungen.

Dadurch wird die Fähigkeit zur Selbstregulation erheblich beeinträchtigt. Dies hat weitreichende Folgen für das Leben der Betroffenen. Da die Selbstregulationsfähigkeit nicht richtig entwickelt ist, können diese Menschen emotionale Spannungen nur schwer aushalten. Sie reagieren dann entweder mit Unruhe, gesteigerter Aktivität und sogar Aggressivität oder – am anderen Ende des Toleranzfensters – sie brechen innerlich zusammen, erstarren, sind antriebslos oder flüchten in eine innere Welt. In der klinischen Praxis sehen wir dann beispielsweise Depressionen, ADHS, Burn-Out oder Angststörungen und Panikattacken. Auch die Anfälligkeit für Suchterkrankungen ist deutlich erhöht.

Schocktrauma

Neben dem oben beschriebenen Entwicklungstrauma, das sich über längere Zeit entwickelt hat, kann auch ein einzelnes schreckliches Erlebnis zu einer Traumatisierung führen. Dies kann etwa ein Verkehrsunfall oder ein Verbrechen sein. Man spricht hier von einem Schocktrauma. Auch beim Schocktrauma wird die Regulationsfähigkeit des Nervensystems beeinträchtigt. In der traumatisierenden Situation wurde das Nervensystem quasi überflutet und ist auf einem hohen Erregungspegel hängen geblieben. Kleinste Umweltreize, sog. Trigger, lösen dann sofort wieder ein Erleben aus, als wäre man noch immer in der schrecklichen Situation.

Traumata beeinträchtigen das Gehör

Prof. Porges fand heraus, dass bei vielen Menschen, aufgrund einer traumatischen Erfahrung, die Mittelohrmuskulatur in ihrer Funktion eingeschränkt ist. Der Musculus Stapedius, der für die Spannung des Trommelfells und damit für die Einstellung der Empfindlichkeit des Gehörs zuständig ist, ist bei traumatisierten Menschen häufig in seiner Funktion eingeschränkt. Dadurch ist es für diese Menschen viel schwieriger bis unmöglich, die menschliche Stimme aus lauteren Umgebungsgeräuschen herauszufiltern.

Safe and Sound Protocol

Neben verschiedenen anderen Folgen, führt dies dazu, dass das autonome Nervensystem ständig Signale für Bedrohung empfängt und daher eher zum „Kampf- oder Fluchtmodus“ tendiert. Dies hat weitreichende negative Folgen, beispielsweise für soziales Miteinander, Konzentrationsfähigkeit oder die Selbstregulationsfähigkeit eines Menschen.

Das Mittelohr als Tor zum Nervensystem

Aus der Körperpsychotherapie weiß man, dass das Nervensystem die Muskulatur, beispielsweise die Körperhaltung, beeinflusst. Wir alle können meist sofort an der Körperhaltung erkennen, wenn es jemandem schlecht geht. Umgekehrt wirkt die Körperhaltung auch auf das Nervensystem und somit auf die Befindlichkeit. Was würde geschehen, so überlegte Porges, wenn es gelingen könnte, den Musculus Stapedius wieder zu entspannen? Der Theorie nach, müsste dieses unmittelbare Auswirkungen auf den Zustand des Nervensystems haben.

Also konzentrierte er seine Forschungen auf die Entwicklung einer Methode, die genau dieses bewirken kann. Das erfolgreiche Ergebnis dieser jahrelangen Bemühungen ist das „Safe and Sound Protocol“ (SSP).

Das Safe and Sound Protocol (SSP) hat ein breites Anwendungsspektrum

Wie oben ausgeführt, wurde das SSP ursprünglich zur Behandlung von an einer Autismus-Spektrum-Störung erkrankten Menschen entwickelt. Doch mitlerweile findet es zunehmend auch bei vielen anderen Problemfeldern erfolgreich Anwendung. So beispielsweise bei

  • Traumafolgestörungen
  • Entwicklungstraumata
  • Angststörungen
  • Panikattacken
  • Störungen der Selbstregulationsfähigkeit
  • Ess-Störungen
  • ADS und ADHS
  • Sozialen und emotionalen Schwierigkeiten
  • Geräuschempfindlichkeit und Überempfindlichkeit gegenüber anderen sensorischen Reizen
  • Konzentrationsstörungen
  • Suchtproblematiken

Da diese Methode erst seit 2017 verfügbar ist, ist zu erwarten, dass sich die positiven Auswirkungen zukünftig auch noch auf anderen Gebieten erweisen werden.

Wirkfaktoren des Safe and Sound Protocol (SSP)

Zwei wesentliche Bausteine bestimmen den Wirkung des SSP: Spezielle Musik und Co-Regulation durch einen geschulten Begleitenden.

Während der Behandlung hört der Klient über Kopfhörer speziell modulierte Musik. Dafür stehen aktuell vier unterschiedliche Playlists mit verschiedenen Stilrichtungen zur Verfügung.

  1. amerikansiche Popsongs (Original)
  2. Disney-Songs (wonder)
  3. Klassische Instrumentalmusik (classical)
    und
  4. Sphärische Musik (freely)

In der therapeutischen Wirkung unterscheiden sich die Listen nicht, sondern richten sich nach dem – zugegebenermaßen recht eingeschränkten – persönlichen Musikgeschmack. Die einzelnen Musikstücke sind per Computer speziell und sehr komplex bearbeitet. So ist in die Musik beispielsweise die Prosodie (Sprachmelodie) einer Mutter, die ihr Kind beruhigt, eingearbeitet. Darüber hinaus sind unterschiedliche Frequenzbänder wechselnd verstärkt oder unterdrückt. Ebenso finden unterschiedliche Lautstärken und Rechts-/Linkswechsel statt, um nur einige Aspekte zu nennen. Durch dieses spezielle Training wird die Mittelohrmuskulatur dauerhaft wieder aktiviert und somit eine neue neuronale Basis geschaffen. Das konzentrierte Hören der Musik ist aber nur ein Teil der effektiven Behandlung.

Co-Regulation als entscheidender Faktor

Während der Klient die Musik hört, wird er durch einen Therapeuten aktiv begleitet. Der Therapeut stimmt sich auf den Klienten ein und reguliert über seine eigene Regulation das Nervensystem des Klienten. Im Prinzip ist dies dieselbe „Methode“, die eine Mutter nutzt, wenn sie ihren Säugling beruhigt. Man nennt diese Technik „Co-Regulation“. Auf diese Weise kann es gelingen, dem autonomen Nervensystem wieder ein dauerhaftes Gefühl der Sicherheit zu geben. Diese Basis ermöglicht u.a. eine schnellere Auffassungsgabe, leichteres Lernen und damit auch effektivere Psychotherapie. Denn wer sich sicher und stabil fühlt, dem fällt es leichter, sich mit unangenehmen Themen auseinanderzusetzen oder Gefühle auszuhalten, die er bisher vermeiden oder verdrängen musste. Dies ist die entscheidende Grundlage für den Erfolg einer Therapie. Das SSP ersetzt also keine Therapie, sondern wird als wirksames Werkzeug im Rahmen einer Therapie eingesetzt.

Die Musik ist so gestaltet, dass sie das ANS der KlientInnen aktiviert. So können durch die – von außen gesehen unspektakulär erscheinende – Methode tiefsitzende Emotionen angerührt werden. Dies kann bereits nach wenigen Minuten der Fall sein. Dann wird die Musik unterbrochen und therapeutisch mit dem auftauchenden Material gearbeitet.

Behandlungsdauer

Wie viele Sitzungen genau zur Durchführung des „Safe and Sound Protocol“ notwendig sind, lässt sich im Vorhinein schwer einschätzen, da jedes Nervensystem anders auf die Anwendung reagiert.

Eine erste Sitzung dient dem gegenseitigen Kennenlernen und der Abklärung, ob das Save and Sound-Protocol für die gegebene Problematik geeignet erscheint. Zudem ist es sinnvoll, vor dem Einsatz des SSP die KlientInnen in der Anwendung verschiedener Regulationstechniken zu schulen.

Während früher für die eigentliche Behandlung fünf Sitzungen (inclusive Vor- und Nachbesprechung) an fünf aufeinanderfolgenden Tagen durchgeführt wurden, hat sich, aufgrund der Erfahrungen bei der Anwendung, die aktuelle Praxis geändert. Absolute Richtschnur ist immer die Reaktion des jeweiligen Nervensystems. In meiner Praxis hat sich ein Rhythmus von einer Sitzung pro Woche mit jeweils max. 30min. Musik und entsprechender Bearbeitung der dabei auftretenden Erfahrungen bewährt.

Wenn die persönlichen Rahmenbedingungen es zulassen, kann es auch eine Alternative sein, das SSP im eigenen Zuhause – als Remote-Anwendung – durchzuführen. Dies gilt beispielsweise dann, wenn KlientInnen sich  nur in ihrem eigenen Zimmer wirklich sicher fühlen. Oder falls die Entfernung zu einem geeigneten Therapeuten zu weit ist. Die therapeutische Begleitung erfolgt dann mittels Videositzung. Auch bei der Behandlung von Kindern hat die Remote-Version Vorteile, weil dann die Begleitung durch darin geschulte Eltern im gewohnten häuslichen Umfeld durchgeführt werden kann.

Drei unterschiedliche Varianten des SSP

Das Safe and Sound Protocol (SSP) ist in verschiedenen Varianten verfügbar.

  1. SSP-Connect
    Dies besteht aus einer unbearbeiteten Playlist und dient der sehr vorsichtigen Annäherung an das Programm. Es ist geeignet für Menschen, deren Nervensystem aufgrund schwerer traumatischer Erfahrungen bereits mit dem Aufsetzen eines Kopfhörers oder der unvorbereiteten Begegnung mit fremden Musiktiteln überfordert sein könnte.
  2. SSP-Balance
    Dies beinhaltet eine moderat bearbeitete Playlist. Es dient der Vorbereitung des Nervensystems im Vorfeld, falls sich zeigt, dass das SSP-Core schon zu intensive Wirkungen auslöst. Zusätzlich verwende ich es gerne zur nachträglichen Stabilisierung der erzielten Erfolge im Nachgang der Bahandlung mit dem SSP-Core.
  3. SSP-Core
    Dies ist das eigentliche SSP zur Behandlung der Dysregulation. Nach dem kompletten Durchhören der 5-stündigen SSP-Core-Anwendung ist die Behandlung grundsätzlich abgeschlossen. Die volle Wirkung entfaltet sich dann im Laufe der folgenden drei Monate. In dieser Zeit kann bei Bedarf das SSP-Balance weiter genutzt werden.

Eine erneute Anwendung ist in der Regel nicht nötig und sollte – wenn der Einzelfall dies empfiehlt – frühestens nach drei Monaten erfolgen.

Gerne informiere ich Sie, ob das Safe and Sound Protocol auch bei Ihrer persönlichen Problematik helfen kann. Sprechen Sie mich gerne an.